Alltag und Leben der Schwabenkinder

Erlebnisse auf den Höfen in Oberschwaben

Die Aufgaben der Schwabenkinder waren vielfältig und nicht immer einfach. Eine der Pflichten bestand im Viehhüten, deshalb auch die Bezeichnung „Hütekinder“. Daneben gab es für die Kinder stets auch Arbeiten im Stall, auf dem Feld und für die Mädchen in der Küche zu verrichten.

Alltag in der Fremde Vom Viehhüten und Gänserupfen Lohn der Arbeit Am Sonntag: Kirche und Freizeit Sprachschwierigkeiten und Freundschaften

Alltag in der Fremde

Nicht nur die Verhältnisse änderten sich während des Schwabengehens zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert. Auch die Umstände, auf welche die Schwabenkinder zur selben Zeit trafen, waren unterschiedlich. Dementsprechend vielfältig waren auch die Erfahrungen der Kinder an ihren Arbeitsplätzen. Ein ehemaliges Schwabenkind schätzte aus eigener Erfahrung das Verhältnis von guten zu schlechten Dienstplätzen auf 80 zu 20 %. Dabei bestimmte meist die Qualität der Verpflegung die positive oder negative Beurteilung einer Dienststelle. Allen gemeinsam war aber die Ungewissheit, in welche die Kinder von Zuhause entlassen wurden. Immer bestand das Risiko in ein Ausbeutungsverhältnis zu geraten, aus dem sich das Kind bis zum Ende des Dienstverhältnisses kaum befreien konnte. Untergebracht waren die Kinder meist in den Kammern der Dienstboten, die nicht beheizbar und recht spärlich ausgestattet waren: Oft musste ein Strohsack, eine Truhe für die Habseligkeiten und eine Waschschüssel reichen. Schwerwiegend war bei allen Kindern das Heimweh, auch wenn sie sich an einem guten Dienstplatz befanden. Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, überwog bei den meisten Schwabenkindern, insbesondere gegenüber ihren einheimischen Altersgenossen.

Vom Viehhüten und Gänserupfen

Die Schwabenkinder verrichteten ihrem Alter und der Jahreszeit entsprechende Arbeiten. Zu den wichtigsten und täglichen Aufgaben gehörte das Viehhüten. Dabei setzten kalte und nasse Tage den Kindern besonders zu. Möglichkeiten, sich während des Tages warm zu halten, gab es auf dem Feld meist nicht. Immer wieder berichteten ehemalige Schwabenkinder über erfrorene Zehen. Daneben standen andere Arbeiten an wie beispielsweise Futter holen, Kartoffeln waschen, Holz holen, Vieh füttern, Kühe striegeln, ausmisten, melken, Milch entrahmen oder Milch in die Sennerei bringen etc. Insbesondere zur Erntezeit waren alle Hände gefragt: Die Mithilfe der Kinder war selbstverständlich. Die Mädchen unter den Schwabenkindern waren zudem in die Arbeit im Haus, beim Kochen, Backen, Waschen und im Gemüsegarten eingebunden. Die Arbeitszeiten der Schwabenkinder lagen bei weit über 12 Stunden täglich. Der Arbeitstag begann zwischen 4 und 5 Uhr morgens. Zu Erntezeiten war das Arbeitsende nicht vor 22 Uhr zu erwarten. Pausen erfolgten zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendessen. Auch das Bettnässen war ein weitverbreitetes Problem unter den Hütejungen, das zusätzlich zur psychischen Belastung der Arbeit in der Fremde auf extremen Schlafmangel zurückgeführt werden kann.

Lohn der Arbeit: Geld und ein doppeltes Häs

Der Lohn, den Schwabenkinder erwarten konnten, hing von der Menge der sich anbietenden Kinder ab. 1821 berichtete erstmals eine oberschwäbische Quelle über die Art der Bezahlung der Saisonarbeit der Kinder: „Ein Leinens-Kleitle und ein klein wenig Gelt“. Bis zum Ende des Schwabengehens blieb es bei der Zweiteilung des Lohnes in Geld und Sachwert. Beides war begehrt: Der Lohn, den die Kinder zurück in ihre Familien brachten, war meist das einzige Bargeld, das in den Familien vorhanden war. Und die neue, mitgebrachte Kleidung war insofern etwas Besonderes, als ansonsten Kleidungsstücke von den älteren an die jüngeren Geschwister so lange weiter vererbt wurden, bis die Kleidung auseinander fiel. Mitte des 19. Jahrhunderts konnten die Kinder zusätzlich zum „doppelten Häs“, einer zweifachen Ausstattung mit Kleidung, mit einem Geldbetrag von 4-20 Gulden rechnen (je nach Alter und Arbeitskraft des Kindes), um 1900 mit 40-70 Mark. Hin und wieder wurden auch Naturalien als Bezahlung verwendet: Antonia Derungs aus Castrich bei Ilanz war als 11-jährige im Jahr 1900 in Oberschwaben und berichtete: „Als Lohn erhielt ich 8 Mark und doppelte Kleidung. Einige Knaben, die mit uns hinausgekommen waren, erhielten lebendige Kaninchen als Lohn. Dazumal hatten wir bei uns droben so etwas kaum. Schwierig wurde es beim Zoll. Da mussten wir Mädchen die Kaninchen halt unter die Röcke nehmen“.

Am Sonntag: Kirche und Freizeit

Am Sonntag, dem einzigen arbeitsfreien Tag der Woche, stand für die Schwabenkinder der Besuch der katholischen Sonntagsmesse auf dem Programm. Nach dem Gottesdienst sollten die Kinder im Pfarrhaus an der sogenannten Christenlehre teilnehmen, einer Unterweisung durch den Pfarrer, um ein Mindestmaß an Bildung erhalten. Dies war eine der wenigen Möglichkeiten, Freunde aus der Heimat zu treffen und sich auszutauschen. Manchmal war auch die örtliche Sennerei der Treffpunkt, an welche die Schwabenkinder täglich die Milch ablieferten. Ansonsten blieb nur das Warten auf den Blutfreitag, die Reiterprozession in Weingarten in der Woche vor Pfingsten. Traditionell stand den Schwabenkindern zu diesem Termin ein freier Tag zu, den sie in Weingarten verbringen konnten – die seltene Gelegenheit Geschwister oder Freunde zu treffen, die an entfernt liegenden Dienstorten gelandet waren.


Sprachschwierigkeiten und Freundschaften

Über das Verhältnis zu einheimischen Kindern gibt es ganz unterschiedliche Quellen. Oft blieben die Schwabenkinder isoliert als Fremde, vor allem durch die sprachlichen Unterschiede. Dies betraf besonders die romanisch-sprechenden Graubündner Kindern, die so manches Mal kaum Deutsch verstanden. Ein ehemaliges Schwabenkind aus Domat/Ems berichtete, dass Streitereien zwischen den romanisch-sprechenden Schwabenkindern und der oberschwäbischen Dorfjugend an der Tagesordnung waren: „Am Sonntag nach dem Kirchenbesuch trafen sich die Schwabengänger meistens. Dann redeten wir natürlich romanisch. Die einheimischen Kinder hänselten uns deshalb gern. Einst sind wir während einer Fronleichnamsprozession sogar mit den Kruzifixen aufeinander losgegangen.“ Andere hingegen schlossen Freundschaft mit ihren Altersgenossen und berichteten sogar von kleinen Freizeitvergnügen an Sonntagnachmittagen: „Es kamen noch andere Mädchen vom Dorf, so spielten wir zusammen. Es war recht lustig diesen Nachmittag“.